Bild der Wissenschaftler

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Alexis
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Registriert: Mo Mai 24, 2010 5:48 pm

Bild der Wissenschaftler

Beitrag von Alexis »

"In unzähligen Diskussionen im Netz tauchen immer wieder die gleichen Anschuldigungen und Vorwürfe gegen die Wissenschaft und deren reale Betreiber, die Wissenschaftler auf: Sie seien borniert, nicht offen und überheblich. Gibt man bei der Google-Bildsuche das Wort Wissenschaftler ein, landet man bei dem obigen Bild. Das ist kein Zufall. Das Bild des Wissenschaftlers ist immer noch geprägt von der Vorstellung eines leicht verrückten, eher alltagsuntauglichen Schrates, der aus unverständlichen Gründen irgendwelchen absurden Dingen hinterher forscht.

Speziell unsere Zielgruppe, die Esoteriker, kann man eigentlich am leichtesten mit einem Negativum definieren: Sie halten Wissenschaft für beschränkt, ihr eigenes Wissen für überlegen. Dabei wiederholen sich die wenigen “Argumente” in einer Art und Weise, dass man fast meint, einen meditativen Zen-Kurs in einem Kloster gebucht zu haben.

Was ist aber Wissenschaft?Als erstes kann man mal festhalten: Wissenschaft ist ein Werkzeug, um die Realität zu beschreiben. Mit Werkzeugen kann man viel Gutes tun und viel Unfug anrichten. Mit einer Kettensäge z.B. kann man Holz zertrennen (eigentlicher Sinn), sich ins Bein sägen (wenn man zu doof ist, sie zu bedienen), oder auch Menschen zerstückeln (so man ein entsprechender Psychopath ist). Wie im richtigen Leben aber beschränken sich auch in der Wissenschaft solche Fälle auf Ausnahmen.

Als Zweites: Wissenschaft ist ähnlich der Demokratie-Definition Churchills. Nicht perfekt, aber bisher die beste aller bekannten Methoden, Vorhersagen über die Realität zu bekommen.

Schauen wir uns aber ein paar Argumente der Wissenschaftsfeinde an:

“Wissenschaftler haben bewiesen, dass die Hummel nicht fliegen kann, sie tut es aber trotzdem.”Abgesehen davon, dass es sich hier um einen Hoax handelt, weiß man natürlich inzwischen sehr gut, warum die Hummel fliegen kann. Mit den Formeln für eine starre Tragfläche wird man dem Hummelflug nun mal nicht gerecht, so wenig wie einem Hubschrauber mit seinen winzigen Rotorflächen.
Das ist aber nicht der eigentliche Punkt. Die Wissenschaft beweist nicht. Und sie beweist schon gar nicht der Realität, dass sie so und so nicht sein kann. Sie versucht lediglich, die Realität zu beschreiben und vor allem, Vorhersagen über diese zu machen. Ein kleines Ergebnis davon ist, dass man dieses jetzt an einem Bildschirm lesen kann.

“Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als Eure Schulweisheit sich träumen lässt”
Eigentlich ein klares Plädoyer für die Wissenschaft, denn genau das will sie ja heraus finden und hat nichts mit dogmatischer Schulweisheit zu tun. Mit einer kleinen Einschränkung: Man befasst sich nur mit Wirkendem. Wissenschaft hat also ein “Problem”, Nichtexistierendes zu widerlegen. Und: Nur, weil wir nicht alles wissen, heißt das nicht, dass wir gar nichts wissen.

“Über den Tellerrand schauen”Sagen meistens die, die den Eichstrich eines Messbechers mit dem Horizont verwechseln. Fachidiotie gibt es überall, die Tendenz, wenn man nur einen Hammer hat, jedes Problem zu einem Nagel zu machen, ist ein typisch menschliches. U.a. hat sich genau aus dieser Erkenntnis die wissenschaftliche Methode entwickelt.

Jeder darf denken, wie und was er will, die Realität stört sich nicht daran. Egal, wer von einem Hochhaus springt: Der Zeitpunkt des Aufschlages lässt sich gut berechnen, egal, was er denkt. Ein indischer Guru wird aufgrund wallender Gewänder möglicherweise etwas länger brauchen. Und wer im Internet auf einer frei lesbaren Seite von Unterdrückung faselt, hat ein Paradoxon geschaffen.

Die meisten alternativen Denksysteme sind von den Wissenschaften leicht widerlegbar, und so wird die Darstellung der Absurdität irrationaler Übezeugungssysteme gerne als Unterdrückung einer anderen, aber gleichwertigen Idee bezeichnet. Ideen sind aber nicht gleichwertig, was den Bezug zur Realität betrifft. Eine mystische Welt á la Herr der Ringe mag faszinierend sein, aber ein e=mc² schafft die Möglichkeit zur Atombombe.

Wissenschaft ist kein Glaubenssystem, sie ist im Gegenteil der Versuch, aus solchen raus zu kommen. Esoteriker und hart Religiöse verstehen sowas nicht. Sie fassen die erfolgreiche Methode der Realitätsbeschreibung als Frontalangriff auf ihr Weltbild auf. Was irgendwie zu verstehen ist – muss man doch Gott und Ähnliches jetzt schon hinter den Urknall schieben, will man es in Einklang bringen mit dem Wissen, das wir inzwischen über die Welt haben. Der Abstand wird immer größer, so wie das Staubkorngefühl des Betroffenen. Dieses in “Einklang” bringen, mit dem evolutionsbedingt unabdingbaren Gefühl, selber im Mittelpunkt des Universums zu stehen, ist eine intellektuelle Herausforderung, vor der sich Viele drücken. Schade ist allerdings die fehlende Konsequenz, oder kann mir einer sagen, warum Menschen, die an Telepathie glauben, sich darüber im Internet austauschen?

Wissenschaft hat heutzutage in wohlstandssaturierten Ländern ein Problem: Sie hat die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass sich Menschen überhaupt mit seltsamen und verrückten Fragen beschäftigen können und wird dafür verachtet, weil sie kein Antwort darauf hat. Man wirft ihr vor, kompliziert zu sein, immer wieder Aussagen zu verändern, sich nie 100% festzulegen. Man darf diesen Vorwurf an die Realität weiter geben, sie bestimmt die Wissenschaft. Und an die lieben Wissenschaftsverachter ergeht der Aufruf, die Realität einfach zu ändern, so dass sie endlich jeder nach 10 min kapieren kann."


http://blog.psiram.com/2010/06/bild-der-wissenschaftler/#ixzz20XPdQlwi


Wenn wieder mal jemand im Forum derartige Sprüche bringt, dann kann man ja hierher verweisen.
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LEAM
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Beitrag von LEAM »

Hi,

da möchte ich noch etwas anhängen, einen Schnipsel aus der Vergangenheit des Freigeist-Forums. Sir Humphry war einer der wissenschaftlich ausgebildeten User.
Eines seiner wirklich guten Postings:

http://www.geistig-frei.com/forum/index.php/topic,16687.msg356603.html#msg356603


Eine der Ursachen für häufige Missverständnisse zwischen Wissenschaft und "Laien" ist der schlampige Umgang mit Randbedingungen - und zwar auf beiden Seiten. Wissenschaftler "vergessen" oft, die Randbedingungen unter denen eine gefundene Gesetzmässigkeit gültig ist zu erwähnen (vielleicht, weil sie irgendwann selbstverständlich werden), Laien übersehen die Randbindungen auch dann, wenn diese genannt sind (was wohl daran liegt, dass diese um wirklich exakt zu sein meist nicht einfach formuliert werden können).

Ein einfaches Beispiel: Ein Körper im freien Fall

Was lernt man in der Schule?

g = Fallbeschleunigung
t = Fallzeit
s = Fallstrecke
v = Fallgeschwindigkeit

Man erhält folgende Beziehungen:

v(t) = v<sub>0</sub>+ g x t
s(t) = s<sub>0</sub>+v<sub>0</sub> x t + 1/2 x g x t<sup>2</sup>

Jeder, der ein wenig mathematischen Hintergrund hat, kommt da sehr schnell hin.
Rechnet man hierfür ein paar Beispiele aus und vergleicht mit realen Messungen wird man feststellen, dass immer Fehler auftauchen - daraus zu folgern, die Beziehungen wären falsch (und damit die Wissenschaftler doof) wäre nun ebenso freigeistig wie unkorrekt.

Grund für die Abweichungen sind die Randbedingungen der obigen Beziehungen:

1) Reibung wird vernachlässigt
2) Die Fallbeschleunigung g hängt nicht von der Höhe ab

Beide Annahmen sind dann gerechtfertig, wenn ein Körper mit sehr hoher Dichte eine relativ geringe Fallstrecke zurücklegt - z.B. wenn eine Bleikugel vom Tisch fällt.

Erster Schritt in Richtung Realität:

Reibung wird berücksichtigt, indem man einen Reibungskoeffizienten einführt (dieser hängt vom fallenden Körper und dem umgebenden Medium ab) und einen linearen Zusammenhang zwischen Fallgeschwindigkeit und Reibungskraft annimmt.

Ergebnisse werden nun auch für weniger dichte Körper und etwas größere Fallhöhen annehmbar.

Zweiter Schritt in Richtung Realität:

Gravitationspotential ist proportional zu 1/r - jetzt kommen wir der Wahrheit auch bei großen Fallstrecken nahe...aber es gibt immer noch Abweichungen. (Formeln sind schon nicht mehr wirklich schön - ich erspar sie euch, es geht nur um die Idee)

Dritter Schritt:

Die Reibungskraft ist eben nicht proportional zur Fallgeschwindigkeit, so findet z.B. ein Übergang zwischen laminarer und turbulenter Strömung statt, letzterer sorgt für mehr Widerstand.

Vierter Schritt:

Das umgebende Medium ändert sich auch mit der Höhe, Druck, Zusammensetzung der Atmosphäre in verschiedenen Höhen, Temperatur - all dies hat einen Einfluss auf den Fall.

Selbst wenn ich das alles berücksichtige sind immer noch Fehler drin, denn die Luft, durch die mein Körper fällt steht ja nicht still...

Ihr seht, ein sehr simples Problem wird sehr schnell beliebig kompliziert - und fast nicht mehr vermittelbar, deshalb begegnen euch die Gleichungen in der Regel in ihrer am stärksten vereinfachten Form. Das diese recht wenig mit realen Systemen zu tun hat ist den Wissenschaftlern aber sehr wohl klar, also wenn ihr deren Konzepte wirklich widerlegen wollt, dann kommt ihr um ne Menge Arbeit nicht drum rum, denn dann müsst ihr es schon mit den komplexen Beziehungen aufnehmen - viel Spaß!


(Hervorhebung durch mich)

Der Link zeigt zum alten FG Forum, was so nicht mehr existiert.

LEAM

ps: wegen "Himmel und Erde und Schulweisheiten" : siehe http://buchstaeblich.wordpress.com/2008/09/22/bitte-nicht-shakespeare/

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